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Familiengerichte verhindern Gewaltschutz

Deutschland hat ein enormes Problem mit Gewalt an Frauen und Kindern. Die größte Gefahr geht nicht – wie oft vermutet – von Fremden auf dunklen Parkplätzen aus. Die größte Gefahr sind die Männer aus dem engsten Umfeld – am häufigsten die eigenen (Ex-)Partner. 
Noch die Generation unserer Mütter und Großmütter konnte sich nicht so einfach scheiden lassen. Doch inzwischen können sich Frauen leichter trennen oder scheiden lassen – und das tun sie auch: ein Großteil der Trennungen geht von den Frauen aus. Das ist nicht verwunderlich, denn in der Beziehung sind die Frauen mit der Aufgabenteilung eher unzufrieden, während die Männer gar kein Problem sehen.

Doch die Zeit nach einer Trennung ist die gefährlichste im Leben einer Frau. Ganz gleich, wer sich getrennt hat. Egal ob die Partnerschaft nicht mehr funktionierte oder ob sie sich trennte, weil es bereits in der Beziehung zu Gewalt gegen Frau und Kind kam. Psychische und körperliche Gewalt während und nach der Tren­nung heißt Post-Separation-Abuse oder auch Nachtrennungsgewalt.
 Der Ex-Partner entpuppt sich als Psychopath, der allein aufgrund der Trennung eine derartige (narzisstische) Kränkung erlebt, dass ihn nun nur noch ein Wunsch antreibt: die Ex-Frau zu zerstören. Die gemeinsamen Kinder sind solchen Vätern nicht nur herzlich egal. Sie werden meistens sogar instrumentalisiert, als Kollateralschaden bewusst in Kauf genommen od­er gezielt verletzt und vernachlässigt, um der Mutter wehzutun.

Natürlich trifft das nicht auf alle Männer zu. Es handelt sich vor allem um Väter, die Frauen und Kinder als ihren Besitz erachten. Männer, die schon in der Beziehung kontrollsüchtig und gewalttätig waren oder die so richtig erst nach der Trennung eskalieren, weil sie diese als massiven Verlust von Kontrolle und Macht über Mutter und Kind ansehen.

Rund 120 000 Fälle häuslicher Gewalt von (Ex-)Partnern gegen Frauen hat das BKA 2020 gezählt. Die Zahlen steigen seit Jahren. Und natürlich ist die Dunkelziffer bedeutend höher. Das war sie schon immer, doch seit auch AnwältInnen Müttern raten müssen, die Gewalt im Familiengericht bitte nicht anzusprechen, dürfte sie noch höher sein. Eine Studie von 2014 legt dar, dass wir es in 20 Prozent der aktuellen Paarbeziehungen mit schwerer Gewalt gegen Frauen zu tun haben. Psychische Gewalt, Zwangskontrolle, Stalking etc. sind hier noch nicht einmal inbegriffen. 
Einige Frauen und Kinder überleben diese Gewalt nicht. Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch Männergewalt – häufig nach einer Trennung. Andere flüchten ins Frauen­haus: 34 000 Frauen und Kinder in Deutschland suchen dort jährlich Schutz.
Damit aber nicht genug: Sind gemeinsame Kinder im Spiel, haben die Mütter fast kei­ne Chance, sich und die Kinder tatsächlich zu schützen. Ganz im Gegenteil: Sie werden vom Staat zum Täter-Kontakt gezwungen.
 Das Recht des Vaters an dem von ihm mitgezeugten Kind wiegt um ein Vielfaches schwerer als der Gewaltschutz für Mutter und Kind. Das gilt auch, wenn Gewalt durch den Vater nachgewiesen ist und ebenso nach sexuellem Missbrauch des eigenen Kindes.

Quelle: BKA, Partnerschaftsgewalt - Kriminalstatistische Auswertung - Berichtsjahr 2020

Familiengerichte, Jugendämter & Co. sitzen nämlich einem absurden Glauben auf, wenn eine Mutter von väterlicher Gewalt spricht: Gewalt durch Väter existiere kaum oder wäre völlig unproblematisch für das Kind. Dieses Vorurteil, das allen wissenschaftlichen Studien widerspricht, führt dann zu der fatalen Schlussfolgerung: die Mutter sei das eigentliche Pro­blem. Sie hätte sich die Gewalt nur ausgedacht oder sei unfähig, sie als normal anzu­se­hen. Belege der Gewalt, Polizeiberichte, ja sogar Geständnisse werden entweder ignoriert oder als irrelevant angesehen. Den Müttern wird von den Verfahrensbeteiligten vorgehalten: »Auch ein gewalttätiger Vater ist ein guter Vater« oder »Hängen Sie mal nicht so an der Vergangenheit, wir wollen in die Zukunft schauen«.

Würde es im Arbeitsgericht heißen „Auch ein gewalttätiger Mitarbeiter ist ein guter Mitar­beiter“? Oder sagt ein Strafgericht zum Opfer des tätlichen Angriffs: „Der Vorfall ist vorbei, schauen Sie doch in die Zukunft.“ Werden in deutschen Gerichtssälen nicht ausschließlich vergangene Taten verhandelt? Soll das eine Absage an jegliche Rechtsverfolgung sein?

Kann die Mutter nicht freudig in eine gewaltvolle Zukunft für sich und ihre Kinder blicken, gilt sie als unkooperativ und psychisch krank. Als Nächstes werden ihr Bindungsintoleranz oder Vater-Kind-Entfremdung vorgeworfen. Die Mutter wolle nur Kontrolle über Vater und Kind haben – verrückt, da wir ja wissen, dass dieses Besitz- und Kontrolldenken häufig bei Tätern und höchst selten bei Frauen zu­ fin­den ist. Doch das Schlagwort „Bindungsintoleranz“ gegen eine Mutter im Familiengericht vorgebracht wirkt: Nicht selten wird damit sogar dann erfolgreich argumentiert, wenn der Vater versucht, der Mutter das Kind zu nehmen oder jeden Kontakt zwischen Mutter und Kind zu unterbinden – es also tatsächlich um Bindungsintoleranz geht: aber auf Seiten des Vaters.

Allein schon die Verwendung des Begriffs „Bindungsintoleranz“ im Rahmen eines familiengerichtlichen Verfahrens müsste von allen Verfahrensbeteiligten als Warnsignal verstanden werden. Denn fast immer folgt diesem Begriff eine abenteuerliche Täter-Opfer-Umkehr. Tatsächlich verbirgt sich dahinter der Versuch, die Bindung der Mutter an die Kinder unsichtbar zu machen.

Den Zuschauenden von außen muss sich folgende Irritation förmlich aufdrängen: Mütter er­ledigen auch heute noch ungebrochen den Großteil der Fürsorgearbeit. Sie versorgen, för­d­ern und hüten die Kinder, sie erledigen den Haushalt, sie managen die Vereinbarung von Terminen und To-dos der ganzen Familie. Die Verantwortung für die Care-Arbeit liegt auch 2023 größ­t­en­­teils bei Frauen. Während der Beziehung ist den Vätern die Aufgabenteilung nur allzu recht. Die Mutter ist meist die engste Bezugsperson der Kinder. Dazu hört man von Vätern keinerlei Klagen. Kaum kommt es allerdings zur Trennung zwischen Mutter und Vater, ha­b­en die Väter plötzlich allergrößte Zweifel an der Eignung der Mutter.

 Deutsche Familiengerichte veranlassen daher jedes Jahr Hunderttausende von Gutachten, um die Tauglichkeit der Mütter zu überprüfen. Innerhalb eines Jahres kommt es zu 270 000 Gutachten an deutschen Familiengerichten! Zum Vergleich: In Zivil-, Arbeits-, Finanz- und Verwaltungsgerichten wurden insgesamt (!) lediglich 30 000 Gutachten angeordnet. Und Untersuchungen zeigen: Bis zu 86% der kostenintensiven, familienrechtlichen Gutachten sind fehlerhaft. Oft führen sie nur die Täter-Opfer-Umkehr fort, die im Gerichtssaal längst stattgefunden hat: Der gewalttätige Vater wirkt sehr nett, die Mutter macht alles kompliziert, weil sie das Kind nicht gegen seinen Willen zum Vater zwingen will und immer noch darüber spricht wie der Vater sie und das Kind mit der Pistole durchs Haus jagte oder erst neulich mit dem Auto von der Straße abdräng­te. Eine Mutter, die sich und ihr Kind schützen will – wirklich ein Skandal.

Was dem klagenden Vater nicht gefällt, ist aber, dass die Mutter es gewagt hat, sich von ihm zu trennen. Sie wird zur Persona non grata. Mit der Erziehung der Kinder hat das nichts zu tun. So langsam dämmert einem, weshalb sich die Mütter von diesen Vätern ge­trennt haben.

Dass nicht spätestens hier Tausenden von RichterInnen, Verfahrensbei­ständ­Innen, GutachterInnen und Jugendämtern die Haare zu Berge stehen, lässt ernsthafte Zwei­fel an unserem familiengerichtlichen Justizsystem und der deutschen Jugendhilfe auf­kom­men! 
Rechtlich gesehen ist eine Scheidung für Frauen also erlaubt. Faktisch riskieren sie, dass man sie als Mutter ihres Amtes enthebt und dass sie sich und ihre Kinder überhaupt nicht mehr vor Gewalt schützen können. Nicht immer geht es darum, die Kinder aus dem Haushalt der Mutter zu entfernen. Doch es geht immer um Kontrolle über die Mutter. Und mit der Drohung, man könne ihr jederzeit die Kinder ganz wegnehmen, werden Mütter oft genug gefügig gemacht. Diese Drohung steht nicht nur als theoretische Option im Raum. Immer wieder wird sie von RichterInnen und anderen Verfahrensbeteiligten ausgesprochen. Gerne zum Beispiel, um die Mutter zu einem Wechselmodell zu zwingen, bei dem die Kinder rund 50 Prozent der Zeit beim Vater leben und die Mütter daher meist keinen Unterhalt mehr erhalten. Seit 2009 haben die Sorgerechtsentzüge nach einer Scheidung für Mütter um 50% zugenom­men.

Hinter diesem Trend steckt die gezielte Unterwanderung und Beeinflussung von Jugendämt­ern und Familiengerichten durch Väter-Lobbys, die längst die deutschen Behörden mit ihren misogynen Mythen schulen. Bereits seit den 1980ern verfolgen Väterrechtler eine Strategie, um Mütter zu ent­sor­gen, die väterliche Gewalt verhindern wollen. Die Anleitung dazu stammt von Richard A. Gardners pädofreundlichen Propaganda-Büchern. Darin schrieb er, es gebe gar keinen sexuellen Missbrauch, Kinder würden Sexualität mit Erwachsenen genießen, das sei Teil der Sexualerziehung. Mütter, die damit ein Problem haben, seien psychisch krank. Diese krude Argumentation erinnert nicht zufällig an die Täter-Opfer-Umkehr aus den Familiengerichten. Radikale Vätervereine werben sogar öffentlich mit ihrem Faible für Richard Gardner. Einzelne Fehlgeleitete? Weit gefehlt. Erst im Januar waren sie zum Plausch beim Bundesjustizminister.
Das Ziel ist damals wie heute: Vätern auch bei Ge­walt und Missbrauch weiter umfangreichen Zugang zu ihren Opfern zu ermöglichen. Die Mütter müssen dafür aus dem Weg geräumt werden.

Vielen Frauen ist nicht bewusst, dass sich gemeinsame Kinder mit einem Mann schnell zur Falle entwickeln können. Dass Väter die Möglichkeit hätten, sie zu verprügeln, die Kinder zu misshandeln, ihnen aufzulauern, sie mit einem Hammer zu verfolgen, ihr Auto immer wieder zu zerkratzen, ihre Wohnung zu verwanzen, die Kinder an Pädokriminelle zu verleihen oder sie mit Arsen langsam zu vergiften – ohne Auswirkungen auf ihr Umgangsrecht mit den Kindern. Das sind nur einige reale Beispiele aus meiner Beratungspraxis. Wie verbreitet das Problem ist und wie wenig Schutz es tatsächlich gibt, ist vielen nicht bewusst. Dabei könnte jede #dienächste sein.

Politik und Justiz sind gefordert für die Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit die Verantwortung zu übernehmen: Allein der Umstand, dass Aus- und Fortbildungen der Fa­milienjustiz durch Vereine durchgeführt werden, die offen in der Tradition des Pädokrimi­nellen-Unterstützers Gardner stehen, muss zur Überprüfung sämtlicher Ausbildungs­institute und zur umfangreichen Aufarbeitung führen. Die Istanbul Konvention, ein Übereinkommen des Europarats zur Verhinderung von geschlechtsspezifischer Gewalt, wurde 2017 von Deutschland ratifiziert. Die Um­set­zung der Konvention ist bis heute nicht geschehen und längst überfällig. Gewalt muss endlich als Kindeswohlgefährdung anerkannt werden. Müt­tern, die ihre Kinder vor Gewalt und Missbrauch schützen wollen, darf daraus kein Nachteil entstehen – sie müssen dabei bestmöglich unterstützt werden. Bei häuslicher Gewalt muss automatisch ein gemeinsames Sorgerecht und Umgangs­recht für den Täter ausgeschlossen werden.

Für Gerichte, in denen es zu besonders vielen fragwürdigen Beschlüssen kommt, brauchen wir Untersuchungskommissionen. Eine dieser Hochburgen ist die Region Hannover – Celle. Deshalb sammle ich gerade Unterschriften für die Einrichtung einer Untersuchungskommis­sion. Mir liegen bereits rund 20 Fälle vor, bei denen im OLG Celle der Kindeswille ignoriert wurde, Gewalthinweisen nicht nachgegangen wurde und den Müttern das Sorgerecht ent­zogen wurde – um die Kinder zum potentiell gewalttätigen Vater zu verfrachten. Meist von einem Richter, der bereits mit seinen Nazi-Verbindungen in der Vergangenheit Schlagzeilen machte. Die LandespolitikerInnen sind darüber informiert und haben sich entschieden, weiter wegzuschauen.

Deshalb fordere ich, was in ganz Deutschland nötig ist: dass die Politik nicht weg­sieht, sondern aufarbeitet, Wiedergutmachung leistet und Kinder in Sicherheit bringt, die aktuell bedroht sind. Strukturelle Veränderungen sind notwendig, denn es handelt sich hier nicht um ein paar bedauernswerte »Ausreißer«: Die Gewalt im System hat System.

Christina Mundlos ist Soziologin, Sprachwissenschaftlerin, Coachin und Autorin. Als Rhetorik-Expertin berät sie Mütter in Krisensituationen rund um die Trennung und familienrechtliche Verfahren. Weitere Infos unter: christina-mundlos.de und umgang-sorgerecht-coaching.de

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